Abschied
Und nun hiess es schon wieder Abschied nehmen. In aller Frühe haben wir uns auf den Weg nach Addis gemacht. Und das war auch gut so, denn zu dieser Jahreszeit wird es schon auch richtig heiß und die Straßenverhältnisse sind nach wie vor ziemlich katastrophal. Aber wir sind gut angekommen, voller Eindrücke und nach der obligatorischen Kaffeezeremonie zum Willkommen war sogar noch ein Spaziergang durch das Viertel drin.
Überall wurden wir aufmerksam beäugt, Kinder rannten hinter uns her. Und vorübergehend wurde es zur Mutprobe, die Englischkenntnisse auszuprobieren und uns anzusprechen. Die wahren Helden des Tages wagten es, uns die Hand zu geben. So sammelten wir überall viel Lachen ein.
Frauenpower am Ende der Welt
Shaki ist eine der Außenstationen der Pfarrei in Komto. Sr. Helen, die im letzten Sommer erst ihre Gelübde abgelegt hat, ist dort für eines der Mikrofinanzkreditprojekte für Frauen zuständig. Sr. Martha als Sozialarbeiterin und Koordinatorin der Diözese hat uns begleitet und die Arbeitsweise der Frauengruppen erklärt. Wieder einmal waren wir tief beeindruckt. Einmal von den Regeln zu den Entscheidungsprozessen, dem Miteinander und den Kontrollwegen, die sich die Gruppe selbst gegeben hat, aber auch vom Erfolg. Alle Frauen berichteten uns, von den Erfolgen ihrer kleinen Geschäfte. Einige haben vom Kredit Kaffeesträucher angebaut und können nun sogar vom Verkauf der Kaffeebohnen ihre Kinder zur Schule schicken. Irgendwie ist aber auch zu spüren, dass diese Projekte das Selbstbewusstsein der Frauen ungeheuer gestärkt haben.
Zwei- bis dreimal in der Woche treffen sich die Gruppen und erhalten verschiedene Fortbildungen. Unter anderem lernen die Frauen zu Beginn des Projektes ihren Namen zu schreiben, um dann auch für die Kredite und die Rückzahlung der Zinsen unterschreiben zu können. Aber auch Themen wie Sparen, Familienplanung und Schutz vor häuslicher Gewalt werden diskutiert.
Heute hatte sich auch ein älterer Mann unter die Frauengruppen gemischt. Seine Frau war Teil der Gruppe und starb vor wenigen Tagen. Für ihre ärztliche Versorgung im Krankenhaus musste er die Schafe vom Projekt seiner Frau verkaufen. Nun blieb er ohne Frau und ohne Schafe zurück, traurig und verzweifelt. Doch die Regeln des Projekt erlauben ihm keinen Einstieg zum momentanen Zeitpunkt. Er muss warten, bis einige Frauen und Männer zusammen kommen und eine neue Gruppe starten können. Ob er so lange warten kann, haben Besucher und Schwestern schwer bezweifelt und kurzerhand die 1000 Birr (ungefähr 30 Euro) zusammen gelegt.
Hoffnungszeichen?
Nachdem beim letzten Besuch, die lange leer gestandene und nie richtig genutzte Werkstatt in Ariajavi geputzt und notdürftig auf Vordermann gebracht wurde, konnten wir nun tatsächlich konzentrierte Arbeit erleben. In zwei Gruppen erhalten junge Leute nun eine sechsmonatige Ausbildung – mehr Nähmaschinen gibt es leider nicht! Bis jetzt noch nicht! Hoffentlich!
Denn wenn wir durch Nekemte fahren, sind wir einfach immer wieder entsetzt über die vielen jungen Leute, die arbeitslos am Straßenrand stehen. An manchen Ecken in der Stadt warten die sogenannten Tagelöhner auf Arbeit. Viele von ihnen warten den ganzen Tag und gehen am Abend ohne Verdienst nach Hause – wenn sie ein Zuhause haben…
Seit meinem letzten Besuch scheint die Stadt noch voller. Zu Besuch beim Bischof erfahren wir, dass auf Grund der aktuellen, blutigen, ethnischen Konflikte in der Region 200.000 Menschen aus ihrem angestammten Gebiet vertrieben und nach Nekemte geflohen sind. Viele konnten bei Verwandten und Freunden Unterschlupf finden. Zusätzlich musste das UNHCR zwei Camps einrichten. Überall auf den Straßen sind die politischen Umbrüche zu spüren – auch wenn die Menschen, mit denen wir ins Gespräch kommen, der neuen Regierung vertrauen und voller Hoffnung in die Zukunft schauen, sind die Herausforderungen riesig.
Das Leben brummt
So schön, wir kommen zu den Schwesternstationen und das Leben brummt. Seit einem halben Jahr sind die Schwestern in Ambo und die Arbeit im Kindergarten scheint gut weiter zu laufen. Zumindest machen die Kinder einen zufriedenen Eindruck und tollen wild über das Gelände. Auch die Schwestern haben sich gut eingelebt. Nun kommen schon weitere Anfragen. Eine Grundschule sollte gebaut werden. Doch zuerst stehen einige Sanierungen im Kindergarten an.
Eine andere Anfrage hat unser vinzentinisches Herz höher schlagen lassen. Ganz in der Nähe des Schwesternhauses betreiben die Vinzentiner eine Schule für Kinder mit Hörschädigungen. Seit einigen Jahren haben hier Kinder mit Hörschädigung erstmal die Möglichkeit zur Schulbildung. In den Klassen erkennt man, dass einige der Kinder und Jugendlichen wohl spät eingeschult und in ihren ersten Lebensjahren stark vernachlässigt und vor der Umgebung versteckt wurden.
Jetzt soll ein Internat gebaut werden, damit auch Kinder aus den Dörfern die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Das heißt, eine der Schwestern kann schon bald damit beginnen, die Gebärdensprache zu lernen, damit sie dann dort die Schüler betreuen kann. Das Netzwerk wird also ausgebaut. St. Josef, Schwäbisch Gmünd in Deutschland, St. Vincent, Ruhuwiko in Tansania und in Zukunft vielleicht auch Ambo in Äthiopien mit Freiwilligen aus einer Schule für Hörgeschädigte von Vinzentinern in Irland… die weltweite vinzentinische Familie wächst.
Gemeinsam Schritt für Schritt…
Nach dem wir gestern mit dem Bischof noch die nächsten Schritte planen konnten, ergab sich sehr spontan die Möglichkeit mit dem Projektkoordinator der Diözese ins Gespräch zu kommen. Super, jetzt ist endlich der Kontakt hergestellt. Er konnte uns noch mal ganz viele Details der Arbeit erklären und mich auf einige juristische Eigenheiten in Äthiopien aufmerksam machen, zum Beispiel auch bei der Einfuhr von Autos. Außerdem konnten wir die Anschubfinanzierung des Projekts in Ariajavi vorbesprechen und die Möglichkeit eines langfristigen Businessplans . Zu merken ist, dass er ganz auf die Arbeit mit Mikrokreditfinanzierung durch Frauen setzt und dabei auch gute Erfahrungen gemacht hat. So wollen wir das dann nach der Ausbildung der Frauen als Schneiderinnen auch mit der Ausstattung der Frauen mit Nähmaschinen versuchen. Spannend!
Am Nachmittag saßen wir wieder über den Bauplänen und diskutierten die zukünftige Einrichtung – von der Größe des Altars in der Kapelle bis zum Schreibtischstuhl. Die Einkaufsliste für Sr. Sara ist lang und fertig sind wir noch nicht. Doch heute geht’s erst mal zurück nach Addis Abeba. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag!
Das Projekt in Ariajavi steht in den Startlöchern
Bei mir hat es richtig große Freude ausgelöst, die Schwestern trauen ihrem eigenen Mut noch nicht und noch weniger den Hilfsorganisationen, an die sie die Projektanträge geschickt haben. Aber ich bin sicher, gemeinsam werden wir das Projekt wieder zum Leben bringen.
In Ariajavi, wenige Kilometer von Nekemte entfernt, wurde vor etlichen Jahren ein Projekt für Jugendliche mit körperlichen Behinderungen aufgebaut. Ein Schuh- und Schneiderwerkstatt entstand samt Internat. Das Internat wurde gar nie bezogen, außer von den Mäusen, die sich in den neuen Matratzen einnisteten. Die Werkstätten wurden für eine kurze Zeit in Betrieb genommen. Die Schwestern, die für das Projekt verantwortlich waren, gingen in ihr Heimatland zurück, niemand war da, der die Verantwortung hätte übernehmen können. Seit einigen Jahren versuchen nun unsere Schwestern, das Projekt aus dem Dornröschenschlaf zu holen und vor dem totalen Verfall zu retten. Doch zuerst musste eine der Schwestern eine entsprechende Ausbildung machen. Jetzt ist es endlich soweit. Denn inzwischen ist Sr. Rahel ausgebildete Schneiderin und hat ein Praktikum in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung gemacht. Mit einigen Menschen aus der Gegend ist sie dabei, das Internat auf Vordermann zu bringen, die Mäuse, Spinnen und anderes Getier zu vertreiben, die Nähmaschinen zu checken und gegebenenfalls zu reparieren, einfach alles für die Inbetriebnahme vorzubereiten. Ein Projektantrag für die nötigen Fördermittel zum Start ist bei verschiedenen Hilfsorganisationen eingegangen, wir werden das Projekt auch für die Homepage vorbereiten… nun fehlen also nur noch die Spender. Denn die jungen Frauen mit Behinderungen warten schließlich schon auf ihre Chance auf einen Ausbildungsplatz und damit verbunden eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.
Für die Zukunft bauen
In Gari soll das Zentrum der jungen Gemeinschaft entstehen. Vor anderthalb Jahren haben Schwester Elisabeth und ich dort zwei kleine Bäume gepflanzt, die übrigens gut angewachsen sind und prächtig gedeihen. Ein kleines Wunder für mich!
Inzwischen entsteht dort ein erstes Gebäude. Als Noviziatsgebäude geplant ist der Rohbau bald vollendet. Es war also höchste Zeit noch mal die Gesamtkonzeption zu diskutieren, die Planung anzupassen, die Baufortschritte zu begutachten und manches zu ergänzen. So war also als erst einmal eine Baustellenbesichtigung angesagt. Vermutlich haben alle Beteiligten in erster Linie viel dazu gelernt. Gegen Abend sind wir mit Sr. Sara noch mal intensiv mit den Plänen über der Gesamtkonzeption gesessen und müssen nun einiges in der Planung anpassen. Gott sei Dank sind wir gerade noch rechtzeitig gekommen. Heute Morgen sitzen wir mit dem Bauunternehmer seit einer Stunde über den Bauplänen, diskutieren Steckdosen, Telefonleitungen etc. Wieder geht es darum, gegenseitiges Verständnis zu schaffen, für die Zukunft zu planen, Wünsche abzugleichen, zu ermutigen und dabei aber auch realistisch zu bleiben und den zukünftigen Auftrag des Hauses im Blick zu haben, zum Beispiel muss das Klassenzimmer auch für zukünftige Meetings der internationalen Gemeinschaft zu nutzen sein. Also muss ein Internetanschluss ins Klassenzimmer. Die Küche dagegen muss so konzipiert sein, dass bei Stromausfall auch im Garten gekocht werden kann, das heißt, wir brauchen eine Tür Richtung Garten usw. Doch wo die Tür planen unter Beachtung der Installation und der Fenster? Sr. Sara und ich erleben, dass es gar nicht so einfach ist, Bauherrin zu sein. So viele Entscheidungen, puh! Aber es ist eine Freude zu sehen, wie alle in die neue Rolle reinwachsen!
Direkt nach Nekemte
Nachdem unser Flug und die Ankunft so problemlos verliefen, entschieden wir uns nach einem Frühstück im Schwesternkonvent in Addis Abeba gleich weiter nach Nekemte zu fahren. Vielleicht hätte ich vorher noch mal die Federung der Autositze und die Stoßdämpfer kritisch in die Entscheidungsfindung einbeziehen sollen. Auf alle Fälle ist die Straße in den vergangenen vier Wochen noch mal richtig in Mitleidenschaft durch die Regenzeit gezogen worden. Inzwischen ist es in Teilen eine Schotterpiste mit riesigen Schlaglöchern. Ziemlich zerschlagen kamen wir am Abend in Nekemte an.
Unterwegs haben wir nun das erste Mal im neuen Konvent in Ambo Halt gemacht. Sr. Katharina und Sr. Ester halten die Stellung. Die Anmeldungsphase für den Kindergarten hat begonnen. Sr. Katharina freut sich über jedes Elternteil, das ihr und dem Neubeginn mit der Anmeldung das Vertrauen ausgesprochen wird. Schön zu sehen, wie sie sich auf den Start mit den Kindern freut.
Äthiopien
Unter neuen Vorzeichen sind Florian Hecke und ich nach Äthiopien aufgebrochen. Nach einem angenehmen Lufthansaflug und einer ausreichend langen Nacht konnte ich heute Morgen nach der Messe auf die Frage, ob wir unsere Schwestern besuchen, mit einem klären, deutlichen Ja antworten. Ja. Jetzt sind es unsere Schwestern.
Nach einem langen Klärungsprozess mit vielen kirchenrechtlichen haben wir uns letztlich im Sinne des vinzentinischen Charismas entschieden. Es brauchte Mut und vor allem viel Vertrauen in Gottes Geleit und Führung.
Solche Entscheidungen werden in Ordensgemeinschaften im Kapitel, einer gewählten Delegiertenversammlung, getroffen. Unter großer Zustimmung entschied unser Kapitel, dass wir nun die Niederlassungen in der so genannten Region Äthiopien anerkennen.
Jetzt reisen wir also nicht nach Äthiopien um bekannte Schwestern, die in Tansania ihre Ausbildung gemacht haben, zu unterstützen, sondern um mit den Schwestern Schritt für Schritt diese Region aufzubauen.
Wir freuen uns alle sehr auf diese Aufgabe und werden im Blog ein wenig berichten.
Auf dem Land
Wir sind wirklich froh, dass wir uns entschlossen haben, nach Nekemte zu fahren. Heute konnten wir Komto besuchen und einen Eindruck vom Leben der Menschen auf dem Land gewinnen. Auch wenn wir die Herausforderungen nur ahnen können. Aufgrund eines geplanten Aufforstungsprojekt wird Komto von allen Entwicklungen des Staates abgeschnitten. Auf diese Weise sollen die Menschen zur Umsiedelung in die Stadt gedrängt werden. Die kleine Klinik wurde zum Gesundheitsposten abgestuft und kann nun nur noch präventive Arbeit leisten. Als nächstes droht nun die Schließung der Schule. Immer mehr junge Menschen wagen den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft in der Stadt oder gar im Ausland, die Alten bleiben zurück. Und bei ihnen bleiben im Moment auch die Schwestern.