Im Gepäck
Zurück nach Deutschland reise ich mit großer Dankbarkeit. Es war gut, diese Zeit gemeinsam zu erleben, durchzutragen und die Erfahrungen zu teilen. Ich fühle mich reich beschenkt und ermutigt. Der Mut der Menschen in Äthiopien, die schwierigen Herausforderungen des Lebens klaglos zu meistern, beeindruckt mich sehr.
Aber ich reise auch mit Fragen und Aufgaben zurück, die nun Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen sind. Und ich habe ganz viel Zuversicht im Gepäck, dass diese jungen Frauen ihren Weg gehen werden – mit unserer Hilfe und für die vielen Menschen in Äthiopien, die auf Unterstützung warten.
In Tansania ist vieles an Unterstützung, die wir aus Deutschland geben können, schon so konkret. Direkt und aktuell werden Kinder unterstützt, erhalten Jugendliche eine Ausbildung, werden Kranke versorgt und vieles mehr. In Äthiopien investieren wir im Moment in die Zukunft. Es wird dauern, bis die Schwestern, den Dienst leisten können, den die tansanischen Schwestern leisten, aber ich bin zuversichtlich, es wird ihnen gelingen, wahrscheinlich schneller, als wir das im Moment für möglich halten.
Ein wichtiger Schritt
Inzwischen wieder zurück in Addis fühle ich mich sehr beschenkt durch die Erfahrungen der letzten Tage. Nach der Beerdigung mussten wir uns schon bald auf den Rückweg nach Nekemte machen und kamen dort am Abend wohlbehalten an und konnten am Montag morgen unser Meeting abhalten und eine neue Oberin für die Gemeinschaft wählen. Schweren Herzens nahm Sr. Sara diese Aufgabe an. Sr. Sara kam erst im Februar dieses Jahres von einer zweijährigen Ausbildung als Noviziatsleiterin aus Tansania zurück.
Der Schritt zur Übernahme der Verantwortung durch eine äthiopische Schwester war nun notwendig. Alle Beteiligten wissen um die Herausforderung. Nun gilt es, sie gemeinsam und mit Gottes Hilfe zu meistern.
Trost
650 km ist die Strecke von Addis nach Dembidollo. Nach dem Abschied von Sr. Lamberta machten wir uns sofort auf den Weg. Schafe, Rinder, Esel, Militärkontrollen und die Regenzeit machten unsere Reise zu einer Herausforderung für Obsa, unseren Fahrer. Irgendwann kurz vor Mitternacht fanden wir bei Vinzentinerinnen ein Bett.
Doch was waren 650 km auf einer asphaltierten Straße gegen die letzten 7 km Matsch zum Heimatort von F. Raquel. Die letzten 2 km gingen wir zu Fuß, teilweise knöcheltiefer Matsch, das ist die Regenzeit in Äthiopien.
Gott sei Dank kam das Auto mit dem Sarg schon am Vorabend. Doch wahrscheinlich hätten die Leute auch den Sarg ganz selbstverständlich durch den Matsch getragen. Die ganze Nacht hindurch hat es geregnet, am Morgen wurde es endlich trocken. Sodass das Beerdigungsritual möglich wurde.
Den nach außen getragenen Schmerz der vielen Menschen zu beschreiben, fällt mir schwer. Es wirkt fremd, aber auch reinigend. Beeindruckend der Bischof:”Ich komme als einer, der Euch trösten soll, doch auch ich brauche Trost, möge der barmherzige und allmächtige Gott uns Trost schenken”.
Abschied
In all der Trauer um Father Raquel vermischt sich der Abschiedsschmerz. Sr. Lamberta kehrt nach zwei Jahren nach Tansania zurück. Zwei Jahre war sie hier in Äthiopien, um die junge Gemeinschaft als Oberin zu unterstützen. Nun freut sie sich, trotz Abschiedsschmerz, auf Tansania. Mit großem Mut hat sie sich der Herausforderung eines Lebens in einer anderen Kultur gestellt. Vor allem gesundheitlich wurde es für sie sehr herausfordernd. Nun ist es Zeit nach Hause zu gehen.
Gemeinsam sind wir sicher, dass sie in einer schweren Zeit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Gemeinschaft beigetragen hat. Nun wird es ohne sie weiter gehen. Und auch da bin ich hoffnungsvoll!
Schwester Veronika hat versprochen, noch ein Jahr bei den Schwestern zu bleiben. Unglaublich mutig und bewundernswert, gerade in dieser Situation…
Leben und Tod
So nah sind Leben und Sterben. Wenige Stunden nach dem ich den gestrigen Blogeintrag beendete, fanden wir F. Raquel, den Rektor des Seminars, in dem auch die Exerzitien statt fanden, tot in seinem Zimmer. Father Raquel war 43 Jahre und hatte einige Zeit in Rom Theologie studiert. Für die Schwestern war er der “gute Nachbar”, der sie immer wieder unterstützt hat, der mehrmals in der Woche zum Gottesdienst in den Konvent kam und der Orientierung gab. Für mich war er jemand, der mir viel über das Land, die politische Situation, die Kultur und die Stellung der katholischen Kirche in Äthiopien erklärt hat. Irgendwie können wir es alle gar nicht fassen und fühlen uns sprachlos und hilflos.
Das Leben feiern
Wenn jemand ein Bündel hellgrünes, frisch geschnittenes Gras in den Raum trägt und auf dem Boden verteilt, fängt Sr. Veronika aus Tansania an zu stöhnen und meine Geschmacksnerven hüpfen vor Vorfreude. Sr. Veronika fürchtet sich vor dem Qualm und Dreck. Feuer wird nach ihrem Verständnis einfach immer außerhalb des Hauses gemacht. Ich dagegen freue mich natürlich auf das Endprodukt, den starken Kaffee aber auch auf die Gerüche während der Kaffeezeremonie, den Geruch der frisch auf dem Feuer gebrannten Bohnen, die verschiedenen Weihrauchessenzen, die auf den brennenden Kohlen verteilt werden und dann natürlich den Geruch des frisch aufgebrühten Kaffee.
Die Kaffeezeremonie gestern war der Höhepunkt des kleinen Festessens nach den Exerzitien. Nach sechs Tagen des Gebets, der Einkehr und des Schweigens waren die Schwestern voller Dankbarkeit und Freude – mitten in all den Herausforderungen, die sie umgeben. Ich war tief beeindruckt!
Äthiopien
Für eine Woche bin ich nun in Äthiopien, das fünfte Mal jetzt. Und immer noch bin ich völlig verwirrt und schaffe es nicht, meine Eindrücke zu einem Bild zusammen zu puzzlen.
In den letzten Wochen sind ausnahmsweise auch in Deutschland Nachrichten von Hungersnöten und Aufständen aus Äthiopien angekommen, neben den vielen Erfolgsmeldungen über das Wirtschaftswachstum und die erste Straßenbahn Afrikas. Neue Puzzleteile in meinem Kopf.
Und bei der Fahrt vom Flughafen zum Schwesternhaus auf dem Gelände der Diözese Nekemte hier in Addis kamen dann ganz neue Bilder hinzu. Es war früher Morgen und noch wenig Verkehr. Und unser Fahrer hielt vorbildlich an den neuen Ampelanlagen mit Sekundenanzeige für die Rotphase, die neuen Kreisel in der Nähe des Flughafens haben irgendwelche monumentalen Wahrzeichen erhalten und es wurden einige hypermoderne Hochhäuser fertig gestellt. Aber schon nach wenigen hundert Meter waren statt Skulpturen schlafende, nur mit einem Mantel oder Pappe bedeckte Menschen zu sehen, liefen uns Kolonnen von Frauen mit riesigen Lasten auf dem Rücken entgegen und sahen wir, wie die Menschen mit körperlichen Handicaps ihren Platz zum Betteln vorbereiteten. Das ist Addis Abeba, die “Blume”.
Die äthiopischen Schwestern sind gerade alle hier in Addis zu Exerzitien. Sr. Lamberta aus Tansania sollte eigentlich am Donnerstag nach Hause ausreisen, ihre Zeit hier ist zu Ende. Doch nun gibt es Probleme beim Ausreisevisum und wir mussten wieder einmal umbuchen, wegen irgendwelcher bürokratischen Schikanen. Zum Abholen des Stempels wurde sie zu der Zeit einbestellt, die auf ihrem Flugticket als Abflugzeit gekennzeichnet ist. Naja, nun haben wir dafür noch ein wenig mehr Zeit zum Erzählen.