Katholische Kirche Spezial: der Geeze-Ritus
Vielfältig waren unsere Erlebnisse in den letzten Tagen in Äthiopien. Die schwierige politische Lage zwang uns ja, in der Hauptstadt zu bleiben. Doch sogar der Besuch des Gottesdienst kann zu einem politischen Zeichen werden. Wir hatten uns gewünscht, einen Sonntagsgottesdienst im Geeze-Ritus zu besuchen, eine katholische Eucharistiefeier mit vielen Elementen aus der orthodoxen Kirche. Vor allem die Wechselgesänge und die starke Symbolik haben uns beeindruckt. Auch wenn wir zwischenzeitlich ein wenig desorientiert waren und aus dem Staunen nicht herauskamen, war es eine beeindruckende Erfahrung. Die andächtige und bewegte Atmosphäre der Gläubigen hat uns regelrecht in Bann gezogen und mit genommen in ihr Gebet und wurde zu einer gemeinsame Gotteserfahrung, auch über Sprachgrenzen hinweg.
Anders bei unseren äthiopischen Mitschwestern… für sie ist der Geeze-Ritus auch ein Ritus, der über lange Zeit nur in der Sprachgruppe im Norden des Landes verstanden werden konnte und die Menschen aus dem Süden ausschloss. Aus Höflichkeit haben sie uns diesen Wunsch erfüllt, haben wir anschließend erfahren.
Frieden? oder Ruhe vor dem Sturm?
Vorgestern hat der Premierminister von Äthiopien seinen Rücktritt bekannt gegeben. Laut unseren Informationen waren die Straßenblockaden und Streiks der letzten Woche die Auslöser für den Rücktritt. Außerdem wurden viele politische Gefangene frei gelassen. Somit sind erste Forderungen der Oppositionspolitiker rund um die Volksgruppe der Oromo erfüllt. Nun scheint es, ruhiger zu werden. Zumindest sind Fahrten durchs Land wieder möglich, wenn auch noch schwierig.
So genau kann (oder will) uns aber niemand die Situation erklären. Ob und wann es Wahlen gibt, wie die anderen Forderungen der Volksgruppe der Oromo friedlich umzusetzen sind… nur die Frage nach der Sicherheit beantworten alle Einheimischen sehr schnell. In Addis Abeba sind wir sicher! Und so fühlen wir uns auch. Sicher und willkommen! Und wunderbar versorgt – vor allem mit Essen
Ankommen
Und dann standen wir auf einmal in Addis mitten in der Nacht auf dem Parkplatz und warteten…
Durch den starken Schneefall in Frankfurt hatten wir eine ganze Stunde Verspätung, bei der Zwischenlandung in Jeddah wurde das Flugzeug auch noch ausführlich kontrolliert und dann standen wir noch ewig am Visaschalter… solch eine Unpünktlichkeit verunsicherte die Schwestern sehr, sodass sie irgendwann der Meinung waren, dass wir wohl erst mit dem nächsten Flugzeug aus Frankfurt am nächsten Vormittag ankommen werden und nach Hause fuhren.
Gott sei Dank, funktionierte das Mobilfunknetz – auch mit der deutschen Nummer. So dass wir mitten in der Nacht doch noch abgeholt wurden und – nach dem Lufthansaservice noch ein üppiges äthiopisches Mitternachtsessen anstand.
Inzwischen sind wir ein wenig angekommen, haben schon ein wenig die Gegend erkundet und starten demnächst mit den Vorbereitungen für unseren Workshop.
Abschiedsbesuch am Flughafen
Aufgeregt sind wir beide… Sr. Hanna Maria vor ihrer ersten Reise nach Äthiopien und Tansania und ich vor unserer Aufgabe. Wir reisen nach Addis Abeba und treffen dort Mitschwestern aus Tansania und Äthiopien, um mit der wichtigen Aufgabe zu beginnen, gemeinsame Konstitutionen vorzubereiten. Puh! Eine echte Herausforderung. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Gemeinschaft müssen unsere Konstitutionen, bei uns Lebensordnung genannt, also die Ordensregel, verändert, angepasst, weiter entwickelt werden. Das werden wir nun vorbereiten und versuchen, ein gemeinsames Verständnis für die zukünftige Struktur der Gemeinschaft zu entwickeln. Ziemlich verrückt!
Deshalb war es besonders nett, hier in Frankfurt noch Abschiedsbesuch am Flughafen zu haben. Mit der Zuversicht, dass viele Menschen an uns denken, starten wir von Frankfurt aus bei heftigem Schneetreiben nach Addis Abeba.
Es weihnachtet…
Schon in Dar es Salaam am Flughafen kommt uns “Weihnachtliches” in Form von geschmückten Christbäumen entgegen. In Zürich wurde es dann noch glitzernder. Überall Lichterglanz! Gold in allen Formen… und in Untermarchtal lag dann auch noch Schnee! Kontrastprogramm pur!
Und nun geht es darum, die Ergebnisse der Diskussionen auszuwerten und umsetzen. In Untermarchtal erwarteten uns viele positive Rückmeldungen zum Jahresgruß und Grüße von Menschen, die uns ideell und finanziell unterstützen.
Morgen erwarten wir die Ankunft von Sr. Ruth und Sr. Grace aus Äthiopien. Geplant ist, dass beide Schwestern ungefähr zwei Jahre hier in Deutschland sein werden, um unsere Art unser vinzentinisches Charisma zu leben, unsere Sprache und unsere Kultur kennen zu lernen. Über ein Jahr haben wir auf die Genehmigung der Visa gewartet, jetzt ging es auf einmal sehr schnell. Für beide Schwestern sicher eine gr0ße Herausforderung, vor Weihnachten in den deutschen Winter zu kommen.
In alten und in kranken Tagen…
Seit einem Jahr sind alle Schwestern in Mbinga krankenversichert und immer wieder, vor allem dann, wenn ich einer kranken Schwester begegne oder sie besuche, erklärt sie mir, welche Erleichterung, dass für sie bedeutet und welche große Unterstützung diese Krankenversicherung für die Gemeinschaft ist. Ich wünsche mir so sehr, dass uns das auch bald für die Arbeiter gelingt. Wieder einmal ist in dieser Woche ein Arbeiter von der Farm an seiner zu spät behandelten HIV-Infektion verstorben.
Inzwischen werden erste Schwestern in Mbinga pflegebedürftig. Wie überall in der Welt bringt dies neue Herausforderungen mit sich. Gerade sind die Schwestern nun dabei, die Wege im Regionalhaus rollstuhlgerecht zu sanieren. Höchste Zeit, denn am Freitag hat irgendjemand nach dem Gottesdienst den Rollstuhl an der falschen Stelle angefasst. Nur unter großem Gelächter und Palaver gelang es, dass Sr. Katharina nicht aus dem Rollstuhl gekippt ist. Morgen, Sonntag, wird sie nun problemlos die Hürde von drei Stufen auf einer leicht abgeschrägten Rampe überwinden können. Sie freut sich schon jetzt auf dieses kleine Stück Unabhängigkeit.
Tankstellen…
Besuche in Litembo sind immer etwas ganz Besonderes. Nirgends schmeckt die Wurstplatte so gut und nirgendwo ist der Tisch so schön gedeckt – eine kleine deutsche Enklave in Tansania. Dabei ist der Weg nach Litembo schon einfach die Reise wert. Naja, nicht die vielen Schlaglöcher… Die trainieren sowohl die Stoßdämpfer unseres alten Benz, wie auch unsere eigenen Bandscheiben. Aber landschaftlich ist es einfach ein Traum, eigentlich zu jeder Jahreszeit. Aber jetzt nach dem ersten Regen leuchtet alles in ganz unterschiedlichen kräftigen Grüntönen und dazwischen die frisch gehackten und umgegrabenen Felder mit ihrer roten Erde – eine richtige Farbexplosion, die es kurz vor dem Heimflug in den deutschen Winter noch zu tanken gilt.
Landrechte
Wieder einmal statteten wir den Schwestern in Mkenda einen Besuch ab. Dieses Mal hatten die Dorfältesten um unser Kommen gebeten. Irgendwie ging es um Landrechte, um Nutzung von Land und um Eigentum. Für mich nach wie vor ein hochkomplexes und schwer zu verstehendes Thema. In den Regionen des Landes, die sehr abseits liegen und bis vor Kurzem von der Welt vergessen wurden, scheint ein wahrer Boom zu beginnen. Leute aus der Stadt, Firmen aus dem Ausland und Organisationen, wie die Kirche oder ein Orden “stecken ihre Claims ab” und oft kommen die Einheimischen dabei unter die Räder. Genau deshalb sind Versammlungen, wie die, die wir gestern erlebt haben, so wichtig.
Ich war überrascht über den illustren Kreis unserer Besprechung. Obligatorisch ist bei jeder Versammlung in Tansania eine Vorstellrunde. Da saßen Bauern neben den Sekretären der Partei, der katholischen Kirchengemeinde, der moslemischen Gemeinde, des Bauernverbandes, dem Lehrer und dem Dorfvorsteher – fast ausschließlich Männer, und das alles unter zwei großen Bäumen bei mindestens 35 Grad im Schatten.
Die Atmosphäre war durchaus angespannt, denn schließlich ging es um ein zentrales Anliegen – und doch lief alles nach klaren Regeln ab. Jeder grüßte zuerst mit dem moslemischen, dann mit dem christlichen Gruß. Die Ältesten der Versammlung sprachen zuerst, ließen sich ausreden – auch wenn manchmal wirklich viel zu sagen hatten und die Bedeutung des Gesagten durch Wiederholungen hervor gehoben wurde.
Unsere Gemeinschaft hat ein wirkliches großes Stück Land dort erworben, doch der Bau des Kindergartens und des Brunnens zeigt den Menschen nun, dass ihnen allen dieses Land nutzen wird. Was sie nun wollten, waren die Zusagen, dass wir sie mit dem Wasserproblem und dem Problem in der gesundheitlichen Erstversorgung nicht alleine lassen. Dafür nehmen sie dann gerne auch einen weiteren Weg zu ihren eigenen Feldern in Kauf. Auf der Heimfahrt war ich sehr bewegt von dieser Höflichkeit und dem Vertrauen der Menschen. Ich kann nun nur hoffen, dass wir sie nicht enttäuschen.
Kurz war noch Zeit, die Arbeit von Sr. Bona und ihren Mitarbeitern am Kindergarten anzuschauen. Beeindruckend, wie sie das unter diesen Bedingungen meistert. Allerdings erklärte sie auf meine Nachfrage, dass sie gerade sehr müde ist, weil sie um Geld zu sparen, selbst das Wasser auf dem Kopf vom Brunnen zur Baustelle getragen hat. Das Wasser für den Verputz, das bedeutet unzählige große Eimer auf dem Kopf vom Brunnen zur Baustelle. Kein Wunder, dass sie müde ist! Ihre Kraft braucht sie aber für das Gesamtprojekt, denn da steht noch einiges an.
Workshop
Gemeinsam habe wir uns auf den Weg gemacht, eine gemeinsame Vorstellungen von einem Haushaltsplan zu entwickeln. Transparenz, klare Verantwortlichkeiten, offene Kommunikation aber auch Liebe und Verzeihen wurden als wichtige Grundlagen für die Kooperation definiert.
Und auf dieser Grundlage haben wir versucht, unsere Informationen, unsere Kompetenzen und unsere Visionen zusammen zu legen und aus dem Chaos auf dem Tisch eine Struktur aufzubauen, die uns hilft, einen Überblick über die Gesamtsituation zu bekommen.
Auseinander gegangen sind wir mit vielen Hausaufgaben – und mit dem Gefühl, einen wichtigen Schritt aufeinander zu und in die Zukunft gegangen zu sein.
In der Zwischenzeit
In der Zwischenzeit sind Sr. Elisabeth und Herr Superior in Dar es Salaam und haben gestern die Schwestern in Luhanga besucht. Hier hat der neue Regionalrat begonnen, die Aufgaben ein wenig zu verteilen. Eva und ich sind dabei, den Workshop zum Haushaltsplan vorzubereiten. In den Internaten sind die Kinder Ende letzter Woche in die Ferien aufgebrochen und heute hat es das erste Mal richtig stark geregnet. Die Feststimmung von letzter Woche ist einer Geschäftigkeit gewichen, die für uns ein wenig seltsam anmutet. Aus Deutschland kommen Bilder von Weihnachtsmärkten und erstem Schnee… spätestens dann machen wir uns hier auf die Suche nach Adventsspuren. Und wieder einmal verblüfft es mich, in den liturgischen Texten so viele Parallelen zu der hiesigen Erfahrungswelt zu entdecken. Die Prophezeiungen des Jesajas erzählen heute von blühenden Wüsten. Und genau dies erleben wir hier. Mit jedem Tag wird alles grüner. Auf den ersten Feldern sprosst es, die Saat geht auf und die Menschen drängen aufs Feld. Jede Hand wird gebraucht, damit der Ertrag das Auskommen absichert. Also stehen für die Schüler jetzt keine Erholungsreise oder Ferienlager an, sondern Feldarbeit mit der gesamten Familie.