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Ein Tag mit Alltagsimpressionen und Kontrasterlebnissen (Gastautor: Dr. T. Broch)

Der Vormittag ist dem Einkaufen gewidmet – zu Fuß geht es durch die Hauptgeschäftsstraßen und die Nebengassen von Mbinga und nach einem Cappuccino in einem Café mit W-WLAN-Zugang über den alten Markt. Im Café sind Sr. Anna-Luisa und Sr. Damiana dazu gestoßen. Sie haben zuvor die Koffer mit Geschenken und Bedarfsartikeln aus Untermarchtal ausgepackt, die zwischenzeitlich mit dem Bus aus Dar es Salaam nachgekommen sind, und unter den Schwestern verteilt. Die Stadt gleicht einem Rausch von Farben, pittoresken Szenen und Geräuschen. Leider sehen es die Menschen nicht gerne, wenn sie fotografiert werden, und ein Foto ihrer Marktstände ist auch nicht „for free“ zu haben. So ist die Ausbeute an Bildern gering. Schade. Die Ausbeute der Shopping-Tour dagegen ist zufriedenstellend: farbschöne Kangas, die Harald Geißler und Thomas Broch für zuhause erstanden haben, eine Wassermelone und viele Dosen Instant-Kaffee (Mbinga-Kaffee und Africa-Kaffee), die Sr. Anna-Luisa und Sr. Damiana auf Bestellung ins Kloster mitbringen.

Beim Mittagessen kommt man auf Sorgen zu sprechen. Zu den Maßnahmen der neuen Regierung unter Präsident John Pope Magufuli gehört es u. a., dass er das examinierte medizinische Personal, das bei der Regierung angestellt ist, von den bisherigen Einsatzstellen weg- und an andere Orte versetzt. Über die Gründe mag kann man nur mutmaßen: Vielleicht benötigt er für den Aufbau neuer Gesundheitszentren erfahrenes Personal, vielleicht will er auch alte Seilschaften aufbrechen; oder beides. Das bedeutet auch für die Krankenschwestern in der Kongregation, dass sie nicht wissen, wohin sie kommen werden bzw. dass ihnen bevorsteht, an irgendeinen Einsatzort versetzt zu werden, wo es keinen Konvent für sie gibt und auch anderweitig sehr ungünstige Arbeits- und Lebensbedingungen für sie bestehen. Eine Schwester, die davon betroffen ist, hat angekündigt, dann werde sie vorzeitig in Rente gehen – ihr staatliches Gehalt wird dann allerdings der Gemeinschaft fehlen, die auf diese Einkünfte angewiesen ist. Ein anderes Problem sind die rechtlichen Regelungen für den Landbesitz. Grundsätzlich sind Grund- und Boden Eigentum des Staates, der es jeweils auf 99 Jahre verpachtet. Das bedeutet für ausländische Investoren eine große Unsicherheit, freilich auch für die Vinzentinerinnen, die zum Einen die von ihnen bewirtschafteten Ländereien und Immobilien nicht ihrem Stammkapital zurechnen können, wie es das Kirchenrecht vorschreibt, und die zum Anderen auch damit rechnen müssen, dass ihnen der Staat ihr Eigentum wieder aberkennt. An der Politik des neuen Präsidenten scheiden sich die Geister – auch im Gespräch am Mittagstisch. Man traut ihm zu, dass er Korruption und Machtmissbrauch wirksam bekämpft und die desolate wirtschaftliche Situation des Landes wieder nach vorne bringt; andererseits sieht auch manches nach Symbolpolitik ohne nachhaltig wirksame Verbesserungen aus. Man wird sehen müssen, wie der Präsident künftig die Politik und die sozialen Verhältnisse gestaltet – falls man ihm dazu Gelegenheit lässt …

Der Nachmittag gilt einem Besuch auf der Baustelle der neuen Klinik des Ordens im Stadtteil Kihaha. Sr. Maria Agnes, das Technik-Genie der Gemeinschaft, sitzt am Steuer des Landrovers und lenkt ihn gekonnt über verwinkelte Straßen und durchfurchte Staubwege, die einen Gegensatz darstellen zu den vielen neuen Häusern auf den ehemaligen Maisfeldern zur Linken und zur Rechen, deren Baustil mit Portiko vor den Eingängen ihre Besitzer als wohlhabend ausweist.

Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und bescheint ein Ensemble von Rohbau-Häusern, das schon jetzt verspricht, sehr schön zu werden. Um einen weiten freien Platz, der nach einer Seite hin zu zwei Dritteln offen ist, gruppieren sich die Flügel der künftigen Klinik des Ordens, die für die gesamte Bevölkerung der nach diesem Stadtteil hin expandieren Stadt Mbinga zur Verfügung stehen wird (also nicht nur für die Reichen, wie man angesichts der Neubauten in der Umgebung unterstellen könnte; aber das Feld, auf dem Klinik entsteht, gehörte den Schwestern bereits, als weit und breit noch keine neuen Häuser zu sehen waren; und auch die Pläne gibt es schon länger). Krankenzimmer, medizinische Fachabteilungen, Ambulanz, Labor, Verwaltung – das Raumangebot sieht gut bemessen aus und ist auch durch weitere Bauten erweiterungsfähig; Platz ist genug dafür da. Aber jetzt muss zuerst einmal dieser Bauabschnitt fertig und der Klinikbetrieb darin aufgenommen werden, bevor an weitere Investitionen gedacht werden kann. Gelobt wird die Qualität der Bauausführung. Die offenen Arkadengänge zum zentralen Platz hin geben dem Ganzen ein großzügiges Ambiente. Man kann sich gut vorstellen und sich darauf freuen, wie lebendig es hier einmal zugehen wird.

Zurück im Kloster, geht es noch einmal zu Fuß Richtung Innenstadt – ins Haus San Lazaro, in dem die Schwestern arme Menschen wohnen lassen. Hier erleben wir den Kontrast zu den Neubauten in Kihaha. Im Innenhof werden wir von einer jungen Frau empfangen, die gemeinsam mit ihren drei kleinen Kindern hier lebt; ihr Mann, so erfahren wir, ist an Krebs gestorben, sie selbst hat im vergangenen Jahr einen Ileus überstanden, es gehe ihr noch nicht wirklich gut, sagt sie. Sie begrüßt uns herzlich und freut sich offensichtlich über den überraschenden und unangemeldeten Besuch. Auch die Kinder fassen rasch Vertrauen zu uns Fremden. Der Älteste unter den drei Geschwistern – der Junge mag vielleicht sieben oder acht Jahre alt sein – repariert sorgsam ein einfaches, selbst gebasteltes Spielzeugauto; die beiden Kleinen, vielleicht zwei und drei Jahre alt, schauen ihm interessiert zu. Die Fotos, die Thomas Broch von ihnen macht und ihnen auf dem Display der Kamera zeigt, lösen Heiterkeit aus. Wie die meisten Kinder, die wir hier sehen, spielen sie selbstvergessen und zufrieden. Aber sie sehen nicht gut aus. Nicht nur der Schmutz, auch Ekzeme auf der Kopfhaut zeigen an, unter welchen Bedingungen sie leben. Dass die Kleinen den Kindergarten und der Große die Schule besuchen können, dafür fehlt allem nach das Geld.

Als wir aufgebrochen waren, sind wir bereits an zwei Chören im Gemeindehaus der Pfarrei und in einem offenen Nebengebäude vorbei gekommen, die unbeeindruckt von der gegenseitigen Konkurrenz geübt haben. Auf dem Rückweg beherrscht eine Versammlung der Charismatiker auf dem Platz neben der Pfarrkirche lautstark die Szene – vor allem durch das Geschrei von zwei Predigern, die eigentlich eher Einpeitscher sind, und die chorischen Antworten ihrer Zuhörer. Aber in einem Winkel des Pfarrgartens, der durch eine Mauer abgeschirmt wird, übt auch der Kirchenchor – und das hört sich wirklich schön an; die Sängerinnen und Sänger sind mit dem in Afrika üblichen stimmgewaltigen Temperament bei der Sache und freuen sich über den Beifall ihrer unerwarteten Zuhörer.