Neue Wege gehen
Es hat geklappt. Kaum zu glauben. Wir konnten uns online begegnen. Von Mbinga, Tansania nach Untermachtal, Deutschland. Beides nicht gerade der Nabel der Welt und doch hatten wir eine Zeitlang eine stabile Internetverbindung und Strom. Nach über einem Jahr Coronapandemie für die meisten vielleicht das Normalste der Welt. Aber für uns war es Premiere und wir sind allen dankbar, die solche Wunder der Technik ermöglichen.
Doch nicht nur technisch sind wir auf neuen Wegen. Unsere Diskussionen waren nach einem schleppenden Beginn richtig fruchtbar. Vielleicht nicht immer für die teilweise trockenen Texte, sondern mehr für das gegenseitige Verstehen. Und wir konnten immer wieder von unseren Visionen von einer internationalen Gemeinschaft sprechen.
Die Wege des Truthahns haben heute ein jähes Ende genommen. Nachdem schon in den letzten Tagen klar war, dass er zur Gefahr für die beiden kleinen Kinder, die in der Schule Sr. Monika leben, wurde, hat Sr. Kaja heute festgestellt, dass er heute Nacht auch die Meerschweinchen totgepickt hat, wurde heute kurzer Prozess gemacht.
Mit Stöcken versuchten die Arbeiter ihn einzufangen, bis Sr. Kaja kam und ihm einen Eimer über den Kopf stülpte. Damit war das Ende des stolzen Herrn auf dem Kleintierhof besiegelt.
Und morgen gibt es vermutlich für die Schülerinnen ein Festessen. Naja. Keine Ahnung, aber zum Sattessen wird es vermutlich nicht reichen. Höchstens zu einem Feinschmeckerhäppchen.
Aufwärmphase
Heute nach dem Festgottesdienst zu Christi Himmelfahrt haben wir in Mbinga mit unserem Meeting gestartet. Heute Abend beginnen die Untermarchtaler Schwestern. Und morgen dann versuchen wir unser erstes Online-Meeting.
Ziemlich aufregend. Vor allem wegen der Technik, dem Netzwerk und dem Strom. Aber natürlich auch überhaupt. Die wichtigste Frage, verstehen wir uns überhaupt? Trotz kultureller, sprachlicher und technischer Hürden?
Eigentlich wären wir alle jetzt in Untermarchtal bei unserem ersten internationalen Generalkapitel. Aber auch hier hat uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nun versuchen wir eben, das Beste aus der Situation zu machen. Ein Meeting aber an zwei Orten. Zehn deutsche Kapitularinnen, so heißen die gewählten Delegierten des Generalkapitels, zehn tansanische Delegierte und Sr. Sara als Vertreterin der kleinen Gruppe Schwestern in Äthiopien.
Fünf Tage wollen wir an unseren zukünftigen Konstitutionen arbeiten. Wir sind so gespannt.
Heute war so etwas wie eine Aufwärmphase. Das hat zumindest mal geklappt. Also gehen wir zuversichtlich in die Woche.
Samstagsfeeling
Das Wochenende in Mbinga beginnt, wenn Sr. Magdalena aus der Küche das frische Hefegebäck bringt. Schneckennudeln und Nusshörnchen. Ein kleiner Traum.
Heute hatten wir sogar Kaffeegäste. Europäer:innen, die hier in Tansania leben und nun in den letzten anderthalb Jahren kaum Kontakt aus der Heimat hatten, zumindest von Angesicht zu Angesicht.
Und es wird Samstag, wenn es aus jeder Ecke singt, weil überall die Chöre für den Sonntagsgottesdienst proben.
Auf dem Weg durch Haus und Hof bekommt man den Eindruck, dass die schwäbischen Schwestern neben der Spiritualität auch die Kehrwoche im Gepäck hatten. Überall wird gefegt und geputzt.
Vor dem Haus sitzt Sr. Monica mit einigen Mädchen und bereitet Nüsse für die nächste Gruppenstunde vor.
Dann kommt so etwas wie Sonntagsstimmung auf. Und das wünschen wir allen Daheimgebliebenen auch: einen schönen Sonntag.
Chancen für Mädchen
Bei unserem Besuch in der “Haushaltungsschule” heute wurde mir bewusst, wie groß die Veränderungen der letzten Jahre waren und dass wir sprachlich der Entwicklung total hinterherlaufen.
Aus der Haushaltungsschule, an der Mädchen kochen und nähen lernen, ist eine Berufsschule geworden, samt Berufskolleg. Denn die Mädchen haben nicht nur die Möglichkeit verschiedene Berufe zu erlernen, sie können auch ihren Schulabschluss nachmachen. Und diese Entwicklung scheint noch nicht zu Ende zu sein. Gerade wird eine sehr schöne Mehrzweckhalle gebaut. Die Biogasanlage läuft und muss demnächst erweitert werden, denn nach der Halle steht nun der Bau der Küche an. Aktuell wird meist im Freien gekocht.
Faszinierend ist aber, dass diese besondere Stimmung sich nicht verändert hat. Es sind immer noch die selben Mädchen, von denen die meisten aus Familien kommen, die kein Geld für die zwei Paar Schuhe haben, die ein Mädchen in zwei Jahren braucht, die stolz ihre Schuluniform tragen und sie nach Schulschluss schnell ablegen, um sie zu schonen, die sich in den zwei Jahren zu jungen Frauen entwickeln. Seit einigen Jahren ist auch eine wachsende Gruppe Jugendlicher mit einer bekannten HIV-Infektion dabei, die ein besonderes Programm durchläuft und auch besondere Fürsorge brauchen. Die meisten von ihnen sind seit Geburt bzw. während der Stillphase infiziert worden und haben oft ein angegriffenes Immunsystem. In vielen öffentlichen Schulen werden sie deshalb wieder weggeschickt. Durch dieses amerikanische Programm haben sie die Möglichkeit, ihre Startchancen zu verbessern.
Eigentlich muss man, um die Mädchen von St. Monika zu beschreiben, eine Tonaufnahme vom Schullied am Morgen oder von ihrem ausgelassenen Singen am Abend hören. Da kommt etwas von dieser kraftvollen Energie rüber, die diese Mädchen in den Jahren hier entwickeln. Und wenn man die Schule – so wie wir – besucht, dann wird man davon ein wenig angesteckt.
Vatertag? Was ist das?
Vatertag kennt hier niemand. (Leider hab ich vergessen nach Muttertag zu fragen.) Und Christi Himmelfahrt wird am Sonntag gefeiert. Also war ganz normaler Alltag. Und für uns Zeit, unsere Seele nachkommen zu lassen. Eine kleine Runde in die Stadt war eigentlich geplant. Doch dann sind wir an einem Stand am Busbahnhof hängen geblieben, um leider erfolglos eine Telefonkarte zu kaufen. Trotz gefühlt 1000 Versuchen und der Mithilfe von vielen Helfer:innen ist es nicht gelungen. Mal sehen, ob wir es morgen schaffen…
Und so war heute noch mal viel Zeit zum Erzählen. Die Situation in Äthiopien beschäftigt uns sehr. Sr. Janeth erzählt noch einmal von der schrecklichen Situation der Flüchtlinge, die mit Schleusern durch Tansania in Richtung Südafrika und Botswana unterwegs sind und hier halbtot aus Containern gezogen werden. Fast verhungert, verdurstet oder erstickt, landen sie hier im Gefängnis und werden direkt nach Äthiopien abgeschoben und müssen ihre Abschiebung teuer bezahlen.
Sr. Sara aus Äthiopien berichtet von den momentanen Spannungen in ihre Heimatstadt. Nicht nur in der Provinz Tigray im Norden, auch in Dembidollo im Südwesten sterben täglich Menschen an den kriegerischen Auseinandersetzungen. Wahlen stehen im Juni an und alle sind unter großer Anspannung. Niemand weiß im Moment, ob ein Bürgerkrieg zu verhindern ist. Seit Monaten leben sie nun in der Ausgangssperre. Sobald die Dunkelheit anbricht, müssen sie daheim sein. Zur Feier der Osternacht konnten sie nicht in die Kirche gehen. Nicht nur vom Coronavirus geht Gefahr aus für die Menschen in Äthiopien und an vielen Orten dieser Welt.
Wie im Himmel…
… bedeutet auf Kisuaheli “kama mbinguni” und da wird dann leicht das Wortspiel “Mbinga – kama mbinguni” draus. Auf jeden Fall haben sich die Schülerinnen und Schüler von St. Monika und die Schwestern schwer ins Zeug gelegt, um Sr. Kaja (und auch uns) den Empfang nach dem langen Heimaturlaub so schön wie möglich zu machen.
Schon bei der Abzweigung von der Hauptstraße wartete eine Fahrrad- und Motorradeskorte. Kurzfristig wurden kleinere Prozessionsfahnen mal umfunktioniert und an den Lenker gebunden. Alles schön bunt.
Wenig später warteten die Schüler:innen und Novizinnen mit Trommeln und Trillern. Tanzend und singend ging es dann weiter bis zum Hof des Regionalhauses.
Heimlich mussten wir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, tief Luft holen und uns sammeln, bevor es jemand wagte, die Autotür zu öffnen.
Der Jubel war riesig als dann Sr. Kaja ausstieg. So kann Heimkommen sein. Ein kleines Stück vom Himmel.
Nach den Begrüßungen und dem Dankgebet in der Kapelle wurde es ruhiger und wir konnten endlich anfangen zu erzählen. Und auch ein wenig weinen. So viel ist passiert in den letzten Monaten. Corona hat in beiden Teilen der Gemeinschaft, in Tansania und in Äthiopien Lücken hinterlassen. Sr. Blandina, Sr. Clementina und Sr. Martha verstarben innerhalb kurzer Zeit.
Mit dem Erzählen heute wurden sie wieder lebendig. Es war, als hätten wir eine Brücke geschlagen. Eine Brücke in den Himmel. Ja. Heute war es so. Mbinga – kama mbinguni. Mbinga – wie im Himmel.
Das kreative Chaos nimmt uns sofort in Beschlag
Schon beim Aussteigen am Flughafen werden wir irgendwie durch verschiedene Stationen geschleust. Fieber messen, dann wird die Temperatur in meinem Reisepass eingetragen. Meine? Oder die von dem Passagier vor mir? Egal. Sie war unauffällig. Kein Fieber. Weiter. Die Schlange treibt uns weiter. Nächste Station. Irgendwas muss bezahlt werden. Ein Riesengedränge. Für vier Personen 200 €. 200-Euro-Schein hingestreckt. 100 Dollar zurück bekommen. Fällt mir aber erst viel später auf, weil mir jemand wiederholt den Koffer in die Fersen rammt und ich nur noch weg will. Also zur nächsten Station. 6 Stationen für Schnelltests. Super aufgebaut, mit Sichtschutz, doch die Leute hebeln alles auf und drücken zwischen den Spanischen Wänden durch.
Mist. Eine Station haben wir übersehen. Zurück. Dort gibt es mit der Quittung für die bezahlten Schnelltests einen kleinen Zettel, auf den jemand eine fortlaufende Nummer schreibt. Klappt nur nicht immer, manche Nummern gibt es doppelt und niemand merkt sich die Nummer. Pech, denn die Nummer wird auf den Corona-Teststreifen geschrieben. Nach der Abnahme warten wir wieder in einer großen Traube, bis die kleinen Zettel gebracht werden. Ein Polizist ruft die Nummern auf, doch nur die Wenigsten wissen ihre Nummer. Nach und nach kommen wir zu unseren Ergebnissen. Einige Zettel bleiben übrig, doch wir trauen uns nicht, einfach einen übrig gebliebene Zettel zu greifen. Und Sr. M. Karins Testergebnis fehlt immer noch. Also, gegen den Strom der andrängenden Leute kämpfen, an den Tisch, an dem sie getestet wurde. Oh nein! Eine ganze Charge Teststreifen ohne Reaktion. Ungültig. Alle Tests müssen wiederholt werden. Die meisten Leute sind schon verschwunden, nur wir warten brav. Also. Auf ein Neues. Endlich haben wir alle einen negativen Test auf einem kleinen Fetzen Papier bestätigt bekommen. Weiter zum Visaschalter. Problemlos und sehr zuvorkommend.
Dann zur Gepäckausgabe. Alles muss noch mal durchleuchtet werden, aber wir unterhalten uns so nett und so fahren unsere Koffer ungeprüft durch.
Endlich sind wir durch und da fällt uns plötzlich auf, dass wir nirgendwo Sr. Sara aus Äthiopien gesehen haben. Sie sollte eigentlich 40 Minuten früher ankommen. Also, setzen wir uns erst mal mit einer kalten Cola hin und warten. Und warten. Gehen zur Polizei, lassen sie ausrufen, telefonieren… bis wir dann die Nachricht erhalten, dass sie schon bei den Schwestern in Luhanga ist. Kein Wunder, so lange wie wir gebraucht haben.
Also, ins Auto und hinein in den Feierabendverkehr. Irgendwann hängen wir wieder in einem Knäuel fest, dieses Mal ein Knäuel aus Fahrzeugen. Nachdem nach einigen Minuten klar war, dass sich dieses Knäuel nicht mehr von alleine entwirrt, steigt unser Fahrer aus und beginnt, mit den anderen Fahrer:innen zu verhandeln. Wenn der Bus ein wenig zurücksetzt und der Lorryfahrer vorfährt, kommt der Pick-up ein Stück weiter und das Bajaji muss die von hinten Kommenden so lange blockieren, bis uns der Taxifahrer aus dem Knäuel herausgewunken hat… und das klappt! Zumindest hier.
So viel Kreativität und Chaos an einem Tag ist ganz schön anstrengend. Aber wir sind angekommen. Welcome Tanzania. So viele Lebenskünstler:innen auf einem Fleck. Größer kann der Kontrast nicht sein… vom deutschen Bürokratiefrust weg.
Nach langer Zeit
Über ein Jahr ist es her, dass wir das letzte Mal unsere Mitschwestern in Tansania besucht haben. Damals kamen die ersten Nachrichten über ein Virus aus China bei uns an. Wenige Wochen später, hatte sich alles verändert. Wir mussten den Neubeginn in Kenia unterbrechen, die Reise nach Äthiopien absagen und vieles mehr…
So wie in den meisten anderen Organisationen hat die Pandemie auch die Pläne unserer Gemeinschaft ziemlich durcheinander geworfen. Eigentlich hätten wir uns in diesen Wochen zum Generalkapitel und zu den Wahlen in Untermarchtal getroffen. Doch es kam anders. Ziemlich anders.
Die Wahlen mussten verschoben werden, die tansanischen und äthiopischen Schwestern können nicht nach Deutschland reisen. Nun muss das Meeting an zwei Orten stattfinden und wir versuchen, uns digital zu vernetzen. Mal sehen, was geht. Jetzt sitzen wir also am Gate. Sr. Magdalena reist an ihren neuen Einsatzort. Sr. Kaja geht zurück in ihr “Zuhause”, die Haushaltungsschule in Mbinga und Sr. Karin und ich werden das Meeting in Tansania moderieren. Wir sind so gespannt. Schon jetzt ist alles anders. Reisen unter Coronabedingungen ist speziell.
Wenn alles gut geht, werden wir uns immer wieder melden und Lebenszeichen senden.