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Zwischenetappe in Ndanda (Gastautautor: Dr. T. Broch)

5.30 Uhr Frühstück – ein letztes Mal mit Sr Kaja. 5.50 Uhr: Zum Abschied sind einige Schwestern zum bereits voll beladenen Toyota-Kleinbus gekommen – es werden in den nächsten Minuten immer mehr, die uns noch einmal die Hand geben, uns umarmen, gute Wünsche mit auf die Reise geben und vor allem sagen wollen, wir sollen doch wiederkommen. Immer herzlich willkommen, Karibuni tena.

Das Reiseziel des heutigen Tags ist Ndanda, eine Benediktiner-Abtei, ungefähr 700 km bzw. acht bis neun Fahrstunden Richtung Osten entfernt. Mit Pausen sollten es dann elf Stunden Reisezeit werden. Überraschend gibt es auf dem Weg Richtung Songea noch einen Abstecher nach Kigonsera, wo uns bei der Schwesternstation im Halbdunkel bereits Sr Mwombezi und ihre Mitschwestern erwarten, um uns ebenfalls Abschiedsgeschenke mit auf den Weg geben. Kurz darauf erreichen wir Ruhuwiko, wo wir Florian Hecke abladen, der noch bis Samstag hierbleiben wird. Überraschendes Zusammentreffen mit Sr Taji und Abschied von ihr, die an der Straße auf den Bus wartet.

Entlang der Straße sind schon früh sehr viele Menschen zu Fuß unterwegs, Erwachsene auf dem Weg zur Arbeit und Kinder auf dem Weg zur Schule. Eine erste Rast legen wir nach rund zwei Stunden in einem kleinen Restaurant am Straßenrand ein, das allerdings zu nicht viel mehr als zu einer Tasse Chai und ein paar Chabati animiert – Kaffee gibt es nicht –, obwohl der Koch, eine Junge mit weißer Kochmütze, uns zur Suppe einlädt und ein wenig enttäuscht wirkt, als wir freundlich dankend ablehnen. Die Dörfer wirken sehr arm, die Häuser sind zumeist einfache, mit Stroh gedeckte Häuschen aus Holz oder Lehm, Mauerwerk aus Ziegeln ist selten dabei. Das Straßenbild wird stark von Muslimen geprägt: Frauen und Mädchen mit bunten Schleiern, Männer mit den hier typischen runden Kappen auf dem Kopf. Die Straße ist gut ausgebaut, aber sehr kurvenreich. Gelegentlich taucht eine große Parkbucht auf, die durch ein Hinweisschild als „Weightbridge“ ausgewiesen ist, auf der gemessen wird, ob Busse und Lkw das zulässige Gesamtgewicht einhalten bzw. überschreiten – eine Vorsorgemaßnahme gegen Überlastung und vorzeitige Beschädigung der neuen Straße. Es gibt in Tansania nur wenige Überlandstraßen in dieser Qualität. Immer wieder halten Verkehrspolizisten den Wagen an und kontrollieren – was auch immer. Die Verkehrsdisziplin scheint allerdings gut zu sein. In den Siedlungen ist die Geschwindigkeit auf 50 Stundenkilometer begrenzt, und das wird strikt eingehalten. Auf den markierten Zebrastreifen, auch in der freien Landschaft, haben Fußgänger absolute Priorität.

Nach einiger Zeit geht es in eine Landschaft, die als Wildtiergelände gekennzeichnet ist. Der Blick geht immer wieder in eine unendlich und völlig unbewohnt wirkende Weite, sehr grün und dicht mit Buschwerk und niedrigen Bäumen bewachsen, ab und zu ein paar Palmen. Die morgendliche Kühle im Makete-Hochland ist inzwischen der Tageshitze gewichen, die graue Wolkendecke beim Aufbruch einem strahlend blauen Himmel mit lockerer weißer Quellbewölkung. Allmählich nimmt die Meereshöhe der Landschaft ab. Das Buschland geht zunehmend in spärlicher bewachsene Savanne über. Die Besiedlung entlang der Straße wird wieder dichter. In der Mittagshitze suchen die Menschen in größeren und kleineren Gruppen den Schatten unter Bäumen oder offenen Strohdächern – oft die Männer, die Frauen, die Kinder jeweils für sich. Immer wieder stehen einzelne Menschen oder Familien am Straßenrand, winken schon von Weitem und wollen mitgenommen werden. Etwas enttäuscht schauen sie uns nach, wenn wir ohne Halt an ihnen vorbeifahren. Dann richtet sich die Hoffnung eben auf das nächste Fahrzeug; es kann dauern, bis bei dem äußerst mäßigen Verkehr wieder jemand des Weges kommt. In diesem Land brauchen die Menschen Geduld und Gelassenheit. In einer kleinen Siedlung wird das Diesel knapp; Joseph, unser Fahrer, macht einen kleinen Straßenverkauf aus, der in Kanistern und alten Plastikflaschen auch Diesel führt, der mittels einer zu einem Trichter umfunktionierten alten Trinkflasche ohne Boden in den Tankstutzen eingefüllt wird. Dann kommt doch noch eine offizielle Tankstelle, an der das Fahrzeug vollgetankt werden kann. Ein paar Kilometer weiter ist ein mit Lebensmitteln beladener Lkw von der Straße abgekommen und seitlich abgekippt; die verlorene Ladung liegt im Straßengraben. Frauen sitzen daneben am Boden und säubern in großen Sieben die aus den aufgeplatzten Säcken gequollenen Getreidekörner, während ein anderer Lkw den Havaristen mit einer langen, quer über die Straße gespannten Kette aus seiner misslichen Lage herauszuschleppen versucht. Nach 13 Uhr erreichen wir Tunduru, etwa auf halber Strecke gelegen; viele Ladengeschäfte zeigen, dass wir hier in einer Diamantenstadt sind. Eine Viertelstunde später halten wir unter dem ausladenden Dach eines Baums am Straßenrand und genießen das Picknick, das uns die fürsorglichen Schwestern reichlich mitgegeben haben.

Nachdem wir durch Maji-Maji gefahren sind, tauchen vor uns wie aus dem Nichts gigantische Felsmassive auf, Solitäre, grau, kahlgeschliffen und abweisend: die Mbarika Montains, wo Tausende Krieger indigener Stämme beim so genannten Maji-Maji-Aufstand (1905-1907) gegen die deutschen Kolonialherren brutal niedergemetzelt wurden und weitere 150.000 Menschen anschließend in einer Politik der verbrannten Erde verhungerten. Später überqueren wir den Limesule, den Grenzfluss, der die Distrikte Songea-Ruvuma und Mtwara trennt. Hier taucht vor uns die Kulisse eines weiteren imposanten Bergzugs auf, der im Nordosten durch das Monsongesi-, im Süden durch das Lukwilo-Lumesule-Naturreservat eingerahmt wird. Das Panorama der Berge begleitet uns am südlichen Horizont weiter, aber die Landschaft wird wieder flacher, sie wirkt wegen der vielen Palmen auch maritimer. Vereinzelt wird sie unterbrochen durch gewaltige solitäre Felsformationen, in deren Schatten sich Siedlungen ducken. Eindrucksvoll sind auch die hohen und spitzen Termitenhügel, die oft mitten zwischen den Hütten aus dem Boden wachsen. Wir kommen durch Masasi, die letzte größere Stadt vor unserem Reiseziel, in der vor allem zahlreiche Ladengeschäfte auffallen, vor denen in großer Zahl fabrikneue Fahrräder für den Verkauf bereitstehen. Auffallend ist übrigens auch, dass das Straßenbild dieser Gegend inzwischen durch viele Mädchen und junge Frauen geprägt ist, die nicht nur einen bunten Schleier tragen, wie weiter im Westen, sondern einen weißen und manchmal auch einen schwarzen Niqab, der nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Gesichts frei lässt und weit über den Oberkörper hinunter fällt. Es scheint, dass hier eine konservativere Form des Islam dominiert.

Es ist schwül geworden, als südöstlich vor uns wieder eine Bergkette am Horizont auftaucht, hinter der sich das Hochland der Makonde erstreckt, die im 18./19. Jahrhundert aus dem Norden Moςambiques hierher eingewandert und wegen ihrer Schnitzereien berühmt sind. Auch während des Bürgerkriegs im südlichen Nachbarland sind viele Moςambique-Makonde hierher geflohen, in eine ohnehin bevölkerungsreiche und sehr arme Region.

Kurz nach 17 Uhr kommen wir in Ndanda an, der zweiten großen Benediktiner-Abtei, die wir im südlichen Tansania besuchen. Im 19. Jahrhundert wurde sie von deutschen Mönchen aus dem bayerischen St. Ottilien gegründet, und die helle Kathedrale und die anderen Bauwerke, die wir im Dämmerlicht sehen, verweisen in ihrer Architektursprache auf die Gründung im Zeitalter der deutschen Romantik. Berühmt ist auch die Klinik der Benediktiner in Ndanda. Julius Nyerere, der Gründer und erste Präsident des heutigen Staats Tansania, hat sich hier behandeln lassen, während John Pope Magufuli, der heutige Präsident, eine Zeitlang Schüler der hiesigen Klosterschule war. Ebenso wie von Peramiho aus, so wurden auch von hier aus Pfarreien, Stationen, Priorate gegründet. Derzeit sind die Mönche von Ndanda dabei, im benachbarten Moςambique eine Niederlassung aufzubauen. Mehr als einen oberflächlichen äußeren Eindruck allerdings erlaubt der heutige Abend nicht mehr; wir lassen uns von Br. Laurent unsere Gästezimmer in separaten Nebengebäuden zeigen, essen im Gäste-Refektorium mit einigen deutschen Freiwilligen zu Abend und gehen sehr müde zu Bett.