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Kinderjubel und Wasserprobleme (Gastautor: Dr. T. Broch)

Das Reiseziel heute heißt Ligera. Etwa um acht Uhr brechen wir in Ruhuwiko auf und nehmen zunächst ostwärts die asphaltierte Überlandstraße über Songea in Richtung Mtwara, nach ungefähr 60 km biegen wir dann rechts ab Richtung Süden – in einem kleinen Dorf, indem Sr. Anna-Luisa noch Süßigkeiten für die Kinder in Ligera einkauft. Dass es 200 Stück sein sollen, will dem Ladenbesitzer nicht richtig einleuchten. Er hält diese Menge für unrealistisch und schlägt vor, doch eher Süßigkeiten für 200 Tansanische Schilling zu erstehen, also deutlich weniger. Unsererseits werden noch Sr. Mwombezi, seitens des Geschäftsinhabers ein herbei eilender Mann aus dem Dorf zur weiteren Beratung und Klärung des Problems herangezogen. Unterdessen kommen Frauen ans Auto, um Erdnüsse, Bananen oder anderes zu verkaufen, und überhaupt zieht der Vorgang einige Aufmerksamkeit der Dorfbewohner auf sich. Kurzum, das Geschäft kommt schließlich wie gewünscht zustande, und wir fahren weiter.

Schon nach Songea geht die Landschaft zunehmend in weites, welliges Buschland über, mit unendlich weiter Sicht und einigen Bergen in der Ferne. Die Siedlungen werden immer spärlicher und immer ärmer, die Häuser teilweise noch mit Wellblech gedeckt, die meisten jedoch mit Stroh; viele sind verfallen. Aber noch ist die Straße gut ausgebaut; immer wieder überholen LKW, die mit Kohle vom Bergwerk in Ruanda zum Hafen von Mtwara unterwegs sind. Viele Häuser entlang der Route sind mit einem Kreuz gekennzeichnet – in einem Korridor von 30 Metern links und rechts dürfen keine Häuser mehr stehen. Nach der Abzweigung wird dann alles noch viel ärmer, obwohl viele bäuerliche Anwesen in traditioneller Bauweise als Vierseit-Höfe angelegt sind und zum Teil malerisch aussehen. Auf weite Strecken dominiert der Busch, die Felder sind klein; manchmal sind sie unmittelbar bei den Häusern, manchmal weit weg, und man sieht vor allem Frauen mit Hacken zur Feldarbeit gehen. Immer wieder auch sind Frauen und Mädchen mit schweren Wasserbehältern auf dem Kopf zu den Wasserstellen und zurück unterwegs. Die Menschen sitzen vor ihren Häusern oder gemeinsam auf einem zentralen Platz in den kleinen Siedlungen, überall spielen Kinder, manchmal in besorgniserregender Nähe zur Straße. Und unermüdlich rennen Ziegen, Gänse, Hühner, manchmal auch Hunde über den Weg und bringen sich eilends vor dem mit lauter Hupe sich nähernden Auto in Sicherheit, das eine rote Staubfahne hinter sich herzieht. Wenn ein Fahrzeug entgegen kommt, müssen die Fenster wegen des Staubs geschlossen werden, den es aufwirbelt. Für die Menschen, die diesen Straßen entlang leben, bedeuten dieser ständige Staub und Schmutz eine enorme Belastung.

Nach und nach geht die die rote Erde in einen sandigen Lößboden über. Der Staub wechselt die Farbe zu Grau, und unter die roten Ziegelsteinhäuser mischen sich mehr Häuser mit gelb-grauen Ziegen oder mit Wänden aus Holzgeflecht, das mit gestampftem Lehm ausgefüllt und verkleidet ist.

Nach einer weiteren Stunde erreichen wir Ligera. Man erkennt die benediktinische Bauweise. Kirche und Konvent wurden 1938 von den Benediktinern aus Peramihu gebaut und bis 1988 bewohnt. Nach ihrem Weggang gab es hier nur noch eine Pfarrei mit einer für 2.000 Menschen gebauten Kirche. Erst 2004 zogen auf Initiative der damaligen Regionaloberin Sr. Dr. Gabriele Winter die Vinzentinerinnen mit einer eigenen Station in das  Konventsgebäude ein.

Von Weitem sehen wir im zur Station gehörigen Kindergarten die Kinder im Freien spielen, aber als wir in den Hof des Konvents einbiegen, kommen sie uns schon entgegen und begrüßen uns im Chorgesang mit „Karibu – Willkommen“, lange und ausgiebig. Dann – auch hier – herzlicher Empfang und Bewirtung. Sr. Pasientia führt her den Haushalt, Sr. Antide leitet den Kindergarten, Sr. Pascalina und Sr. Isabella sind in der Dispensary tätig, und Sr. Shauri, die ebenfalls zu diesem Konvent gehört, ist derzeit zur Behandlung in einer Klinik in Dar es Salaam.

Während sich die Schwestern Anna-Luisa und Mwombezi sowie Florian Hecke zur Projekt- und Budgetbesprechung mit einigen Schwestern zurückziehen, führt uns Sr. Pascalina zur Krankenstation. Diese wurde 2004 von Sr. Gabriele gegründet, war dann aber für längere Zeit geschlossen. Erst aufgrund der beharrlichen Bemühungen von Sr. Mwombezi konnte die Dispensary jetzt offiziell registriert werden – und war nicht über die Erzdiözese Songea, was eigentlich das Gegebene wäre, sondern über die Diözese Mbinga als Außenstelle des Konvents im weit entfernten Maguu. Allein dieser Sachverhalt macht die komplizierten (kirchen-)politischen Verhältnisse der Region deutlich. Seit einem halben Jahr können die Schwestern in Ligera wieder Patientinnen und Patienten aufnehmen und behandeln. Und obwohl des nächste staatliche Health Centre nur zwei Kilometer entfernt ist, kommen die Menschen bereits jetzt lieber hierher. Wir besichtigen das bescheidene Ensemble, den Impfraum, den Verbandsraum, den Raum für Infusionen, die in Songea gekauft werden müssen; den Ordinationsraum für HIV- und Diabetes-Tests, die Medikamentenausgabe, den Kreißsaal. Wie viele Kinder hier durchschnittlich entbunden werden, kann derzeit noch niemand exakt beantworten; zu kurz ist das Dispensarium erst wieder aktiv, als dass verlässliche und verallgemeinerbare Daten ermittelt werden könnten. Aber seine Zukunft wird sicher darin liegen, dass es aus einem Bedarf der Bevölkerung heraus (wieder) entstanden ist. Wenn sie einen Wunsch für die nächste Zukunft äußern dürfe, fragen wir Sr. Mwombezi, worin dieser bestünde? Ein kleiner OP, sagt sie spontan.

Wir gehen weiter zu einem Tiefbrunnen mit Schwengelpumpe, aus dem sowohl die Dispensary als auch der Konvent ihr Wasser beziehen. Derzeit haben sie kein fließendes Wasser in den Häusern.

Es gibt freilich etwas unterhalb des Konvents eine andere Quelle, die gefasst und in einem kleinen Häuschen gesichert ist. Wir besuchen sie und treffen an dem nahegelegenen Waschplatz mehrere Frauen und junge Männer, die hier ihre Wäsche waschen. Eigentlich sollte diese Quelle über eine Elektropumpe die Gebäude mit fließendem Wasser versorgen. Aber das funktioniert nicht, erklärt uns der inzwischen dazu gekommene Ortspfarrer, Fr. Frowin Tindor. Ob das daran liegt, dass die Wasserleitung in der Nähe mit einer Machete fast durchtrennt und bislang nicht repariert worden ist, oder das Elektrokabel beschädigt; oder ob die Solaranlage nicht genügend leistungsfähig ist, um das Wasser in die Hochzisterne zu pumpen, oder der alternativ einzusetzende Generator defekt oder für den anderen Generator das Diesel zu teuer ist … Der Pfarrer hat eine Erklärung nach der anderen parat. Egal, es gibt kein fließendes Wasser. Worin das Problem wirklich besteht und wie es zu lösen ist, muss jetzt Schritt für Schritt geklärt werden. Und die Hoffnung richtet sich auf Sr. Maria Agnes in Mbinga; sie hat schon andere herausfordernde Wasserprojekte erfolgreich gemanagt.

Fr. Frowin hat uns auch andere Probleme dargelegt, mit denen er es tun hat. Seit vier Jahren ist er hier; er hat einen Master in Pädagogik und war eigentlich auf dem Weg zu einer Lehrtätigkeit in Songea, aber jetzt ist er Pfarrer in einer kleinen Gemeinde im Busch. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Katholiken beträgt hier drei Viertel zu einem Viertel. Entsprechend schwierig sei es, seine Gemeindemitglieder zu motivieren. Und weil er mit dem Kirchenbesuch bislang gar nicht zufrieden war, lässt er seit zwei Wochen die Gottesdienstbesucher namentlich erfassen. Ihre Zahl sei durch diese erzieherische Maßnahme von etwa 70 bereits auf 135 gestiegen, erklärt er, als er uns das Heft mit der Präsenzdokumentation zeigt …

Der letzte Besuch gilt dem Kindergarten, zu dem täglich 78 Kinder kommen. Dort noch einmal großer Jubel und Tanz, vor allem, als Sr. Damiana die Süßigkeiten austeilt und die Luftballons, die Harald Geißler mitgebracht hat. Ihrerseits bekommt Sr. Damiana eine große, bunt verpackte Kiste mit Orangen und Papayas als Geschenk von den Kindern mit auf den Weg.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen im Konvent treten wir die Heimfahrt an. Um 18 Uhr treffen wir wieder in Ruhuwiko ein.